Klimaneutralität und Grundgesetz
Mit der Änderung des Grundgesetzes sollen die Möglichkeiten der Verschuldung des Staates neu geregelt werden. Auch Klimaneutralität wird als eines der Ziele des Sondervermögens genannt - nicht aber als Staatsziel. Was das bedeutet, beschreibt Philipp Amthor in der WELT. Hier lesen Sie den Namensbeitrag in Auszügen.

„Durch eine Grundgesetzänderung soll am Dienstag eine Richtungsentscheidung für die Zukunft der Staatsfinanzen getroffen werden. Verbindet sich mit diesem Kompromiss auch eine grundlegende Neubestimmung der Klimaneutralität im Grundgesetz? Mitnichten. Geregelt wird keine neue Staatszielbestimmung, sondern lediglich eine Zweckbestimmung für den Staatshaushalt.
[…] Insbesondere im Hinblick auf das Infrastruktur- und Klimaneutralitätssondervermögen ist unmittelbar nach der Kompromissverkündung eine kontroverse Diskussion über die klima- und verfassungspolitische Reichweite der Neuregelung entbrannt. Groß ist bei manchen nun der Jubel: „Klimaneutralität bis 2045“ soll im Grundgesetz stehen! Andere fragen sich: Könnte die Neuregelung gebieten, dass sich Staatsorgane – etwa Behörden bei der Erteilung von Genehmigungen oder Gerichte bei der Auslegung von Rechtsvorschriften gegenüber Bürgern und Unternehmen – aufgrund einer verfassungskräftigen Verpflichtung nun an diesem jahresscharfen Klimaziel orientieren müssen?
Es erscheint nun also klärungsbedürftig: Wie genau ist der neue Verfassungsbegriff „Klimaneutralität bis 2045“ zu interpretieren und was folgt (verfassungs-)rechtlich daraus? […]
Die Frage, wie „Klimaneutralität bis 2045“ zu erreichen ist, bleibt eine genuin politische Frage, aber keine zwingende Vorgabe des Verfassungsrechts. […] Das würde in Zukunft auch für den neuen Artikel 143h des Grundgesetzes gelten, der keine Handlungspflicht des Staates zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2045, sondern lediglich eine Handlungsmöglichkeit des Staates begründen würde, in den nächsten zwölf Jahren im Rahmen des Infrastruktur- und Klimaneutralitätssondervermögens zu diesem Zweck Kredite für zusätzliche Investitionen aufzunehmen.
Oder kürzer gewendet: Klimaneutralität wird durch die Neuregelung im Grundgesetz lediglich eine Zweckbestimmung für begrenzte Verschuldung, aber kein selbstzweckhaftes Rechtsprinzip, das andere Rechtspositionen verdrängen könnte. Der etwaige Kampf um den richtigen Weg zur Erreichung von Klimazielen soll und muss also auch in Zukunft im Feld der Politik (das heißt: in den Parlamenten) geführt werden […]. Die eng zu interpretierende Aufnahme der Worte „Klimaneutralität bis 2045“ als bloße Verschuldungszweckbestimmung ist dabei aus meiner Sicht politisch gut vertretbar. Eine verfassungsrechtliche Neubestimmung der Klimapolitik verbindet sich damit nicht.“
Der Namensbeitrag von Philipp Amthor erschien in voller Länge in der Zeitung „Die Welt“ am 17.03.2025 auf Seite 2.