Wie schwer muss es sein, vor 20 000 Menschen über die Entführung der eigenen Kinder zu sprechen, 2 und vier Jahre alt? Wie schwer muss es sein, nicht zu wissen, ob man sie je wieder in den Arm nehmen kann? Und wie barbarisch müssen Menschen sein, die kleine Kinder entführen? Mehr als 200 Personen, hauptsächlich Kinder und Frauen haben die Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 verschleppt. Die meisten davon befinden sich noch immer in der Gewalt der Islamisten.

Am Brandenbuerger Tor in Berlin spricht der Vater zweier entführter Kinder, Yoni Asher. Und es spricht Roni Romann über ihre verschleppte Schwester – auch diese ist Mutter einer kleinen Tochter. Sie fordern nicht Bestrafung. Sie bitten um Mitgefühl. Sie hoffen auf die Rückkehr ihrer Lieben. Und dann singen die mehr als 20 000 Teilnehmer der Demonstration ein „Happy birthday, dear Yarden“ für die junge Frau, die ihren Geburtstag an diesem Tag nicht mit ihrer Familie feiern kann.

Das Bild der Verschleppten hat sich eingebrannt.

Carsten Linnemann hatte Roni Romann und ihren Bruder Gili Romann einige Tage vor der Veranstaltung getroffen. Das Bild der Verschleppten „hat sich eingebrannt in meinem Kopf“, sagt er. „Alle Termine, die ich danach hatte, waren überflüssig wie ein Kropf. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Geisel – und alle anderen Geiseln – so schnell wie möglich wieder zu ihren Familien zurückkehren können.“

Yardens persönliche Geschichte steht stellvertretend, sie ist nur ein Beispiel, macht der CDU-Generalsekretär deutlich. Sie steht für alle tausende „Opfer, Geiseln in Israel. Für sie ist der 7. Oktober eine Zäsur.“ Wie für alle Jüdinnen und Juden in Deutschland und weltweit.

Linnemann: „Wir haben Antisemitismus zugelassen.“

Das Holocaust-Mahnmal muss von Polizei-Ketten geschützt werden. Jüdische Kinder gehen nicht in die Kita oder zur Schule – aus Angst. „In diesen Tagen trauen sich Juden kaum noch, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen. Und sie trauen sich kaum noch mit Kippa auf die Straße.“ Das ist unerträglich.

„Wir waren immer betroffen“, sagte Linnemann. „Aber nicht immer konsequent.“ Er fordert: „Lasst uns miteinander betroffen und konsequent sein!“ Die Aussage „Nie wieder!“ ist die Verantwortung aller. Diese Verantwortung wird herausgefordert. Dagegen muss man vorgehen. Der Schutz von Jüdinnen und Juden in Deutschland ist unser aller Pflicht, mahnt er.

Linnemann: „Wir dürfen nicht zulassen, was vor unser aller Augen passiert!“

„Schützen heißt vor allem, dass wir es nicht zulassen dürfen, was hier in Deutschland vor unser aller Augen passiert. Es darf keine Anschläge auf jüdische Einrichtungen geben! Es darf keine Demos geben, auf denen die Taten der Hamas gefeiert werden und die Auslöschung Israels gefordert wird!“

Antisemitismus kommt aus unterschiedlichen Ecken, von rechts und links, so Linnemann. Er macht aber auch eine weitere, wachsendeRichtung deutlich: „Wir haben in Deutschland auch ein großes Problem mit dem politischen Islam, dessen Bestandteil auch Judenhass ist“, sagt er. „Hier wurde zu lange weggeschaut.“

Denn nicht nur Jüdinnen und Juden leiden unter dem politischen Islam. Es werden Christen und Homosexuelle angefeindet. „Und es sind liberale Muslime, die einfach in Frieden und Freiheit in Deutschland leben wollen. Es ist ein Angriff auf unsere freiheitliche Gesellschaft und auf alle, die diese freiheitliche Gesellschaft sehen und dazu stehen.“

Linnemann äußert sich ganz klar: „Wir müssen den Kampf gegen den Antisemitismus und für die freiheitliche Demokratie aufnehmen. Gesetze ändern, Strafen verschärfen, Abschiebungen forcieren und die Einwanderung von Antisemiten unterbinden. Wir stehen parteiübergreifend bereit. Nie wieder ist jetzt!“

Klare Stellungnahme einer ganzen Gesellschaft

Die Berliner Demonstration war die klare Stellungnahme einer ganzen Gesellschaft. Alle demokratischen Parteien, die großen Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und Verbände hatte gemeinsam dazu aufgerufen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft, Volker Beck, sowie Israels Botschafter Ron Prosor bezogen Stellung. Die klare Botschaft: „Bring them home now“ – bringt die Verschleppten jetzt nach Hause. Befreit Gaza von der Hamas. Nehmt klar Stellung – gegen Gewalt, gegen Gewaltverherrlichung und für Israel! Gerade auch hier in Deutschland, in Vereinen, in Freundeskreisen und in den Familien.

Und während Tausende ein Geburtstagslied für die entführte Yarden singen, demonstrieren ein paar hundert Meter weiter am Potsdamer Platz ein paar Hundert für Palästina. Da fehlen einem die Worte!