Vertiefen, was wichtig wird
Während einer zweitägigen Klausurtagung im brandenburgischen Nauen schwörten der Vorsitzende der Grundsatz- und Programmkommission, Dr. Carsten Linnemann, und CDU-Generalsekretär Mario Czaja die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Zukunft der CDU ein.
Spätestens nach der verlorenen Bundestagswahl im Jahr 2021 war klar: Die CDU muss sich als Partei inhaltlich erneuern. Und genau das macht sie – mit der Arbeit am vierten Grundsatzprogramm in ihrer Geschichte. Am zweiten November-Wochenende wurde es deshalb wieder grundsätzlich in der CDU. Ins Landgut Stober am beschaulichen Ufer des Groß Behnitzer Sees, rund eine Autostunde vom Berliner Konrad-Adenauer-Haus entfernt, hatten Carsten Linnemann und Mario Czaja die Vorsitzenden der Fachkommissionen zur zweitätigen Klausur eingeladen.
„Wir werden uns in den nächsten beiden Tagen nicht mit dem Status quo beschäftigen, nicht mit Tagespolitik“, sagte Linnemann in seiner Einführung. Wichtig sei, sich „einmal losgelöst davon mit den Lebenswirklichkeiten in Deutschland in den kommenden 15 Jahren zu befassen“, so Linnemann. Das Ziel der Klausurtagung sei, am weiteren Fahrplan für das Grundsatzprogramm zu arbeiten. Dazu tragen hochkarätigen Impulsgeber bei, die in Teilen aus Tel Aviv und Ägypten nach Brandenburg angereist waren, eine Referentin war auf dem Sprung nach Japan.
Der erste Tag
Am ersten Tag der auf zwei Arbeitstage angesetzten Fachklausur stand der Austausch mit externen Expertinnen und Experten im Fokus. „Deutschland, Europa und die Welt in 15 Jahren – mehr als ein Blick in die Glaskugel“ – zu dieser Überschrift diskutierten die Teilnehmer mit Ernst Rauch, Chief Climate und Geo-Scientist des DAX-notierten Rückversicherers Munich Re, Dr. Claudia Major, Forschungsgruppenleiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik, und Dr. Jan Goetz, Gründer und CEO der IQM Quantum Computer.
Versicherungen als Frühwarnsystem
Der studierte Geophysiker Rauch blickt auf eine 34 Jahre andauernde Karriere im Haus des weltweit größten Rückversicherers. Aus dem Bereich des Risiko-Managements kommend, sei die Munich Re als „eine Art Frühwarnsystem“ für das Weltgeschehen wahrzunehmen, sagte er. Mittels eines „Emerging Risk“-Radars werden sämtliche weltweiten Risiken im Unternehmen bewertet: „Das Thema Naturkatastrophen und Klimawandel gehört bspw. zu den Kerngeschäftsfeldern unseres Konzerns“, so Rauch. Seit 1980 haben Naturkatastrophen weltweit zu einem Gesamtschadensvolumen von 5,8 Billionen Euro geführt. Versichert gewesen seien hiervon rund 1,6 Billionen Euro. Zum Vergleich: Das Ahrtal-Ereignis im Jahr 2021 sei für die deutsche Versicherungswirtschaft „historisch herausragend“ gewesen – von den rund 33 Milliarden Euro an Schäden in Deutschland waren allein rund 9 Milliarden Euro über die hiesige Versicherungswirtschaft gedeckt.
Der globale Erwärmungstrend habe seit 1880 bis heute zu einer Erwärmung von 1,6 Grad in Deutschland und rund 2 Grad Celsius im Nordpolarmeer geführt. Mit Blick auf die Klimaziele merkt Rauch an: „Innerhalb von weniger als zehn Jahren müssten wir in Deutschland 30 bis 60 Prozent unserer Emissionen reduzieren, um den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens gerecht zu werden. Das heißt in der praktischen Umsetzung: In einem ähnlichen Umfang sind unsere Energie- und Technologieinfrastrukturen umzubauen.“ Dies sei die Herausforderung, mit der sich die Versicherungswirtschaft an die Politik wende.
Viele Konflikte, unruhigere Zeiten
„Was mir wichtig ist: Wir sind nicht dazu verdammt, Spielball zu sein“, sagte Dr. Claudia Major, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit Blick auf die Rolle Deutschlands im weltweiten Sicherheitsgefüge. Alle Leitlinien der internationalen Sicherheitspolitik ließen erkennen, „dass wir auf eine multipolare, konfrontative Weltordnung zugehen“, sagte sie. Sowohl geostrategische als auch geopolitische Verschiebungen trügen hierzu bei. Hier sei „das bewusste Gestalten“ von elementarer Bedeutung. „China“, so Major, „ist dabei ebenso ein ideologischer Akteur wie Russland.“ Es gehe also künftig „für Deutschland eher raus aus der gemütlichen Geoökonomie in die unruhigere, stürmischere Geostrategie“, so Major.
Das „westliche Modell“, nach Majors Dafürhalten weniger geografisch definiert als vielmehr eine Staatengemeinschaft, die sich einem gemeinsamen Wertekonsens verschrieben haben („weshalb auch Länder wie Japan oder Australien dazu zu zählen sind“), gerate immer mehr unter Druck. Auch wenn Russland bspw. eine „absteigende Macht“ sei, könne dennoch eine längerfristige Gefahr von ihm ausgehen. „Denn Machtzerfall kann gewaltvoll verlaufen“, so Major. So sei selbst bei einem Wechsel von Putin auf einen Nachfolger „mit inneren Auseinandersetzungen zu rechnen“, und Entwicklungen bis hin zum Bürgerkrieg seien nicht auszuschließen.
Eine relevante Frage für die weltweite Sicherheitspolitik der Zukunft sei die Rolle Chinas als aufsteigende Macht. Es wolle die Weltordnung durch „eigene Impulse verändern und steuern“. Dabei nutze es politische Mittel und Druck, etwa stärkeres Engagement in internationalen Foren wie der Vereinten Nationen, militärische, durch Aufrüstung, und wirtschaftliche, bspw. durch den Aufbau der „Seidenstraße“. Das Wiedererstarken der chinesischen Staatswirtschaft habe dabei das Ziel, dass China selbst autarker wird, aber die Abhängigkeit anderer Länder, also Wettbewerber, von China erhöht wird. „Das entspricht nicht unseren Vorstellungen einer freiheitlichen Weltordnung“, konstatierte Major.
Die durch den Krieg in der Ukraine beschleunigte Veränderung der nuklearen Ordnung sei eine beunruhigende Entwicklung. Die seit Ende des Kalten Krieges bestehende Hoffnung, wir könnten Sicherheit mit weniger Atomwaffen schaffen, sei vorbei. Die Bedeutung von atomaren Waffen steige weltweit. Vertragliche Beschränkungen verfallen. China werde um 2030 aller Voraussicht nach so weit aufgerüstet haben, dass es mit den USA und Russland gleichziehen und zu den großen Atommächten zählen wird. Der russische Angriffskrieg habe die Bedeutung von Atomwaffen als Lebensversicherung unterstrichen: Eine russische Eskalation gegen NATO-Staaten ist bislang unterblieben. Gleichzeitig versucht Russland mit nuklearer Erpressung, die westlichen Staaten an der Unterstützung für die Ukraine zu hindern. Nukleare Abschreckung als Schutz funktioniert – für die NATO, aber auch für Russland. Zudem könnte ein konventionell geschwächtes Russland noch mehr auf seine Atomwaffen setzen.
„Die Zeiten, in denen wir Krieg und Frieden säuberlich voneinander trennen konnten, sind zunehmend vorbei“, schlussfolgerte Dr. Claudia Major. Auf einen Krieg folge künftig „ein Konflikt, aber nicht wirklich Frieden“. Diese Konflikte würden sich auf alle Bereiche ausweiten, nicht nur auf militärische, und sie zeigten sich in einem Zustand einer latenten Bedrohung: Cyberangriffe auf die Parlamente, das Streuen falscher Informationen, das Investieren in Kritische Infrastruktur. „Die Angriffe auf die Nord-Stream-Pipelines oder auf die Bahn vermitteln den Eindruck, dass ein Staat nicht in der Lage ist, seine Infrastruktur ausreichend zu schützen“, sagte Major. Genau das sei Absicht des Initiators. Klar sei jedoch: „Demokratische und freiheitliche Infrastrukturen sind immer schützenswert, wie unsere Art zu leben ohnehin.“
Mit Technik gegen den Klimawandel
„Um es vorwegzusagen: Den Klimawandel können wir nur mit Technologie in den Griff bekommen“, ist sich Dr. Jan Goetz sicher. Dazu brauche es einer „besseren Entwicklung von Hardware“. Alle anderen Ideen hätten nicht den „Impact“, den es jedoch bedarf, um die selbstgesteckten Ziele auch erreichen zu können, so der Unternehmer. „Ein Beispiel: Wenn wir mit einem Quantencomputer ein Material erfinden, das Zement ersetzt, könnten wir eine riesige Menge CO2 einsparen.“
Den Akteuren in Deutschland und Europa müsse bewusstwerden, dass „Quantencomputing das Unmögliche möglich machen“ könne: „Heute stehen wir in etwa dort, wo man mit den ersten Rechnern in den 1960er-Jahren war“, sagte Goetz und weiter: „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Denn wir sind noch ganz am Anfang.“ Das Positive daran sei, dass man auf vieles noch reagieren könne.
Um das Potenzial für Deutschland und Europa auszuschöpfen, gelte es, pragmatisch zu bleiben. Zum einen durch einen Talent-Pool: Mit gezielter Zuwanderung und durch bessere Aus- und Weiterbildung sei auch hierzulande vieles möglich. Die Universitäten reagierten bereits: Sie bilden anders und besser aus als bisher – ein großer Schritt in Richtung Quantencomputing „Made in Europe“. Überhaupt Nationalitäten: In seinem Unternehmen, der IQM, arbeiten Menschen aus 37 Nationen unter einem Dach. „Diversität ist für uns normal, auch weil sich viele aus der jungen Generation als Weltenbürger verstehen und nicht mehr in Nationen denken“, so Goetz.
Entrepreneural Thinking und IP-Transfer – Schlüsselbegriffe, die für den Bereich des Quantencomputings als Wirtschaftsfaktor unerlässlich sind. „Das muss im Grunde schon im Kindergartenalter angeregt werden“, ist sich Goetz sicher. „Wir bauen Computer, aber wir erschaffen auch eine neue Industrie“, sagt er. Auch ein Grund, warum keiner der Marktführer aus Europa komme: Hier werden nahezu keine Chips hergestellt.
Der Beweggrund für seine Unternehmensgründung in Finnland lag in der dortigen Möglichkeit der Amortisation seiner Infrastruktur. „Wenn wir einen Computer, der 10 oder 20 Millionen Euro kostet, zu einem Mietpreis abrechnen können, wie ihn auch die Unis zahlen, ist das für uns einfach besser zu rechnen.“ Auch sei der Energieverbrauch eine nicht zu unterschätzende Größe: „Mitten in London würde unser Standort nicht mit ausreichend Energie versorgt werden können. Die Netze wären überlastet.“
Begrüßenswert seien Initiativen, wie gerade von der CDU in NRW umgesetzt, nach der an Universitäten in NRW 100 Professuren für KI geschaffen werden sollen. „Wichtig wird aber, dass wir diese offenen Stellen auch mit Kompetenz besetzen können“, sagte Goetz. Im direkten Vergleich mit den USA müsse Deutschland perspektivisch auf die kommenden 15 Jahre, deutlich mehr investieren. „Die Amerikaner warten nicht auf uns.“
Quantencomputing sei ein „Moonshot-Projekt“. Elon Musks „SpaceX“ sei groß geworden, weil sie Umsätze durch öffentliche Aufträge generieren. „Wenn wir wollen, dass es in Europa solche Industrien gibt“, sagte Jan Goetz, „müssen wir öffentliche Aufträge fördern.“ Auf EU-Ebene gäbe es erste Impulse, die Hoffnung machten. Auch ein europäisches Projekt sei denkbar, „wie der Kontinent es bei Airbus auch konsequent zu Ende gedacht hat“, so Goetz.
Tag 2: „Wie schauen andere auf uns?“
Am zweiten Tag ging es um die Erwartung der Gesellschaft an die CDU. „Wie schauen andere auf uns?“ formulierte es Mario Czaja. „Es geht darum, Menschen für uns zu begeistern, einerseits unsere Geschichte zu erzählen, andererseits aber auch das Vertrauen dafür zu bekommen.“ Wie sieht also das Profil der CDU aus? Wo werden die Stärken der Partei gesehen? Wie kann man das Selbstverständnis und die Erwartung anderer übereinbringen?
Professorin Dr. Renate Köcher vom Institut Allensbach gab einen umfassenden Einblick. Sie analysierte die CDU als starke Partei für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit, für Sicherheit und Europäische Integration sowie für Stabilität. Sie erläuterte, dass die Unionsparteien nach wie vor mit christlichen Werten assoziiert werden. Diese werden insgesamt sehr positiv bewertet: als Einsatz für Schwächere, Kompromissbereitschaft und Friedfertigkeit. Die CDU brauche aber einen neuen Blick auf die Gesellschaft als Ganze, mit Blick auf unterschiedliche Erwartungshaltung und Lebenswirklichkeiten unterschiedlicher sozialer Gruppen.
Auf den eigenen Stärken aufbauen
Köcher machte deutlich, dass es besser ist, die eigenen Stärken zu stärken, als neue Kompetenzen anzustreben. Parteiprofile kan man kurzfristig so gut wie nie verändern. Diese sind der Regel langsam gewachsen und sehr festgefügt. Köcher empfahl den anwesenden Fachpolitikern: Die CDU soll vom Wertegebäude her argumentieren, immer das Gesamtbild im Blick haben, alle Menschen, alle Schichten – auch bei Einzelfällen. Damit lassen sich auch ehemalige Wähler zurückgewinnen.
Gute Laune und offene Debatte: Die Teilnehmer der Klausurtagung in Nauen.
Der CDU-Generalsekretär sieht die Vorstellung und die anschließende Debatte durchweg positiv: „Die Eingangsformulierung war für die Union mutmachend.“ Was wollen die Menschen in Deutschland, ist eine der wesentlichen Grundfragen, sagte er zu Professorin Köcher gewandt. „Hier haben Sie Kompetenzfelder beschrieben, an denen wir arbeiten.“ Die Antworten sollen mit dem Vorsitzenden Friedrich Merz erarbeitet werden. Czaja: „Niemand kann sagen, wen die Menschen in Zukunft wählen werden. Aber man kann Trends erkennen und aufzeigen. Wir möchten unseren Prozess auch wissenschaftlich fundiert vollziehen.“
Der neue CDU-Bundesgeschäftsführer Dr. Christoph Hoppe stellte den Weg dahin vor. Der jetzt begonnene Strategie-Prozess soll 3 Jahre Zeit bekommen. Dabei wird geklärt: Wie können wir in Kompetenzfeldern Profilierung wieder herstellen? Welche Mischung aus Konzepten, Leitmotiven und Köpfen braucht es? Wie können wir Tagespolitik und Grundsätze vereinen? Und: Wie können wir ins Gespräch kommen, Aufmerksamkeit generieren und im Gespräch bleiben?